Geschichte der KaV Norica und Norica Nova

Königreich Noricum

Der Name leitet sich mit größer Wahrscheinlichkeit von der im Raum des heutigen Österreich bekannten vorrömischen Göttin Noreia ab. Das norische Königreich – regnum noricum – war kein einheitliches Staatsgebilde, sondern ein keltisches Stammesreich, dessen Anfänge in die Zeit zwischen 186 und 170 v Chr fallen. Das regnum noricum war der erste Staat auf österreichischem Boden. Ca 45 n Chr wurde es eine römische Provinz – das keltische Element verschwand keinesfalls; wurde sogar teils geduldet – und der späteste Zeitpunkt für den Untergang des norischen Volkstums, welches auf Grund der gemachten Erfahrung antigermanisch war, kann mit ca 568/569 n Chr – Ende der Völkerwanderungszeit – datiert werden.

Der hl. Severin von Noricum – Patron der Verbindung

In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts versuchte Severin, ein aus dem Osten stammender Mönch – er war weder Bischof noch Priester – die schutzlosen Christen Ufernoricums, die von Rugiern, Alemannen, Thüringern und Goten bedroht wurden, religiös und sozial zu betreuen. Von Favianis (Mautern), dem Zentrum seiner Tätigkeit, erstreckte sich sein Wirken auch nach Rätien und Binnennoricum. Die germanischen Herrscher wurden durch diesen Apostel Noricums zu rücksichtsvollerem Verhalten gegenüber den Provinzialbehörden angehalten. Severin kommt das Verdienst zu, das schwer gefährdete Christentum unserer Heimat vor gänzlicher Vernichtung bewahrt zu haben. Man kann ihn wohl als den ersten „Caritaspräsidenten Österreichs“ bezeichnen. Er starb am 8. Jänner 482 in Favianis und sein Leichnam wurde von den Römern bei ihrem Abzug 488 mitgenommen. Seit 1807 befindet sich die sterbliche Hülle des Heiligen in der Kapelle der Pfarrkirche zu Frattamaggiore bei Aversa (nördl von Neapel). Severin ist u.a. Patron der Winzer und Weinberge, ist einer der Schutzheiligen Österreichs (Österr Landespatron ist der hl Leopold, 15. Nov) und Patron unserer Verbindung.

Anläßlich der Übernahme des Vorortes für 1929/30 seitens der Norica wurde beim Osttiroler Holzschnitzer Josef Troyer eine Statue des Verbindungspatrons in Auftrag gegeben, welche sich auf der Nc-Bude befindet. Troyer schuf nach 1945 den überwiegenden Teil der skulpturalen Neuschöpfungen im Wiener Stephansdom und hat sich große Verdienste um eine moderne österr Kirchenkunst erworben (Bbr Bernhard Böhler hat sich mit diesem Thematik eingehend auseinandergesetzt.). In der Einladung zur feierlichen Enthüllung der Statue im Jahre 1930 wird der Zusammenhang zwischen dem Heiligen und der Verbindung formuliert:“… Kultur setzt Verwurzelung, ein wirkliches Lebendigsein all der geschichtlichen, geistigen und gefühlsmäßigen Zusammenhänge mit Glauben, Volkstum und Heimat voraus. So wollen wir uns denn auch erinnern, daß unserer Verbindung mit dem von unserem Stifter Alten Herrn Pfarrer Düringer gegebenen Namen ‚Norica‘ auch ein Patron gegeben wurde, den wir nun auch in seine Rechte einsetzen wollen. …“ . Jedes Jahr am 8. Jänner, Gedenktag des hl Severin, feiert Norica in der Sieveringer Pfarrkirche St Severin (Wien XIX), die hl Messe, und anschließend findet der Severini-Bummel statt. Im nördl Seitenschiff der Sieveringer Kirche befindet sich eine von Norica 1953 gestiftete Severinstatue, unter die 1983 anläßlich des hundertjährigen Bestehens der Verbindung eine Tafel angebracht wurde.

Gründung und Geschichte

Das Jahr 1883 und die Gründungsphase

Der 1876 gegründete katholisch gesellige Studentenverein war der Ausgangspunkt eines katholischen Vereins auf universitärem Boden. Am 21. November 1876 kam es zur Gründung der katholisch geselliger Studentenverein der Wiener Hochschulen (1893 in die kath Studentenverbindung Austria-Wien umgewandelt). Nachdem aus den Statuten jede politische und nationale Tendenz entfernt wurde, genehmigte die Behörde am 23. März 1878 diesen ersten katholischen Studentenverein. Vier Burschen der kath Studentenverbindung Austria-Innsbruck (gegründet 1864), die in Wien studierten, erreichten die langsame Angleichung an die Sitten und Gebräuche einer Couleurverbindung und die Erweiterung des Vereinsnamens auf Katholischer Studentenverein der Wiener Hochschulen Austria. Im WS 1883/84 faßten zwei Mitglieder und fünf Kandidaten des Vereines nach internen oftmaligen Auseinandersetzungen den Entschluß, dem Vorbild der Austria-Innsbruck gemäß in Wien die erste katholische farbentragende Studentenverbindung, die Norica, zu gründen. Vinzenz Rabenlechner, ein Wortführer der Reformer, wurde in seinem Vorhaben vom deutschen CV bestärkt. Die Wünsche der Reformer nach Einführung von Band – die Erlaubnis zum Tragen wurde erst nach mühseligen Bemühungen jedem freigestellt – und Deckel wies man seitens des Vereines bei jeder passenden Gelegenheit zurück. Am 23. Dezember 1883 faßten die aus dem kath Studentenverein Austria „Ausgeschiedenen“ den Beschluß die KaV Norica zu gründen. Norica wurde die Aufnahme in den CV mit 12. März 1884 gewährt und war damit die zweite österr Verbindung (nach Austria-Innsbruck) im CV. Stifter der Verbindung waren Dr iur Vinzenz Rabenlechner und Msgr Johann Peter Düringer. Als geborener Vorarlberger und Brixener Student hatte Düringer (später Stadtpfarrer in Röns/Vlbg) von Innsbruck und München her – auf seiner ersten Studentenfahrt nach Wien weilte er in München – unter den ersten Männern der Stunde wohl die klarste Vorstellung von Art und Wesen einer kath farbentragenden Verbindung. Der Verbindungsname – vom geschichtlichem Noricum entnommen – und die Farben weiß-blau-gold (blau-gold für NÖ, weiß-gold für die Kirche) stammen von Düringer. Düringer verließ nach einem Jahr die Wiener Universität (Studium der Rechtswissenschaften) und trat in das Brixener Priesterseminar ein. Somit „brachte“ er erstmals den Geiste Noricae nach Südtirol. Rabenlechner (später Rechtsanwalt in Wien), der erste Nc-Senior, vereinigte in seinem Wesen die urwienerischen Eigenschaften (Lebhaftigkeit des Geistes, Humor, Kritizismus, deutsche Gesinnung und tiefe österr Vaterlandsliebe). Er sah in Österreich die Katholiken in die Ecke gedrückt und den katholischen Glauben mißachtet. In Deutschland hingegen – ausgelöst durch den preußischen Kulturkampf – erlebte er ein felsenfestes öffentliches Credo und die wachsende Geltung der Katholiken Deutschlands – durch den CV mitgetragen – fesselten seinen Geist. In seinen Wünschen wurde er zum CV gelenkt und Rabenlechner wollte den katholischen Glauben in Österreich wieder zu seiner einstigen Größe verhelfen. Die Ausrichtung als katholische Studentenverbindung war einerseits im vorhin Genannten bedingt, andererseits in der Situation in Österreich. Studentisches Verbindungswesen wurde zu dieser Zeit hierzulande mit liberaler oder rebellisch nationaler, unösterreichischer Gesinnung, alldeutschem Bismarck- und Hohenzollernkult, Paukereien und Duellen gleichgesetzt. Das Inerscheinungtreten Noricas als katholische farbentragende Verbindung begegnete dementsprechend zunächst auch in katholischen Kreisen auf Erstaunen und Befremden. Durch öffentliches Auftreten, Kommunikation mit hohen kirchlichen Würdenträgern – bis zum Papst – und der Ernsthaftigkeit im inneren Bereich konnten die Bedenken meist zerstreut werden. Weiters trat Norica durch eine vorherrschende unbedingte Loyalität zu Österreich, zum Kaiserhaus und der Habsburgermonarchie sowie dem Verbot des Duells an die Öffentlichkeit.

Die großdeutsche Einstellung in der Zwischenkriegszeit im Verband und die diesbezügliche Resolution 1921 wurde von Norica entschieden abgelehnt. Norica wollte sich in der Anschlußfrage nicht auf ein staatspolitisches Programm festlegen; im Sinne des Paragraphen „daß dem CV jede politische Betätigungfern liege“. Dies hat aber zu dieser Zeit ein „deutsches Denken“ nicht ausgeschlossen; ein Denken, das erst 1938 aufgegeben wurde. Dieser Zeitabschnitt und das Verständnis von „deutsch“ sind eine äußerst komplizierte Thematik, welche hier nicht annähernd zufriedenstellend behandelt werden kann (siehe daher Buch: 100 Jahre Norica von den Bbr Bbr Bernhard Moser und Otto Tschulik).

Das Jahr 1933 und die Auswirkungen

Die Norica hatte auch zu fremdnationalen katholischen Vereinen ein gutes Verhältnis. So leistete Norica „Geburtshilfe“ bei der slowenischen Verbindung Danica.

Der große Bruch mit dem deutschen Verbandsteil des CV war durch die Loyalitätserklärung des CV durch den Vorort Aenania an Reichskanzler Hitler vorprogrammiert. Die Ereignisse überschlugen sich, wie z B der Antrag der Rheno-Palatia Breslau auf Ausschluß der Innsbrucker Verbindungen und den Ausschluß von Bundeskanzler Dollfuß und Heeresminister Vaugoin; oder der Vorort Aenania stellte den Antrag auf Wiederaufnahme von Nationalsozialisten in den CV. Erstgenanntes führte zur Bandverleihung vieler österr Verbindungen an Dollfuß, bei letztgenanntem waren fast alle österr Verbindungen geschlossen dagegen (und die deutschen dafür).

Am 29. Juni 1933 kam es zu einer Ausschußsitzung des österr CV, auf der die Abtrennung des österr Verbandsteiles endgültig fixiert wurde. Die neuen Satzungen des nunmehrigen ÖCV wurden angenommen und Norica für die Dauer von zwei Jahren zum Vorort gewählt. Im Abschaltungsbrief von Vorort Norica an Vorort Aenania lautet es u.a.:“… daß die österreichischen Verbindungen des CV mit dem 10. Juli 1933 ihre Abspaltung vom reichsdeutschen CV vorgenommen haben. …“.

Norica hat hiermit den Grundstein in der Geschichte des ÖCV gelegt. Ein Schritt der bewirkte, daß der ÖCV nach 1945 mit erhobenem Haupt in die Öffentlichkeit treten konnte. Während der deutsche CV von Nationalsozialisten beachtlich unterwandert war, war dem beim ÖCV nicht so. Die Ereignisse von 1938 waren daher für den Großteil des ÖCV verheerend. Mit 1938 trat Norica in die siebenjährige Epoche ihrer Illegalität.

Bereits in den Märztagen des Jahres 1938 wurden zahlreiche Bbr Bbr verhaftet und einige von ihnen, u.a. auch Bbr Leopold Figl, wurden mit dem ersten Transport ins KZ Dachau verschleppt. Figl und eine Reihe weiterer Bbr Bbr hatten jahrelang KZ- und Kerkerhaft zu erdulden. Bbr Julius Raab hat 1938 in das Gästebuch seines Freundes Bbr Leopold Figl eingetragen „… Österreich muß bleiben rot-weiß-rot bis in den Tod …“ oder 1944 „… Österreich ist, wird sein, wird bestehen….“.

Mit dem ersten Cumulativconvent am 27. Mai 1945 nahm Norica ihre Tätigkeit wieder auf. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß sich eine kleine Zahl der illegalen NSDAP angeschlossen hatte oder ihr beitrat. Die späteren Untersuchungen des besonderen Nc-Verbindungsgerichts bestätigten, daß der überwiegende Teil der Bbr Bbr an seiner österreichischen Einstellung festgehalten hatte und dem Anschluß an ein nationalsozialistisches Deutschland ablehnend gegegenübergestanden war. Das besondere Verbindungsgericht verweigerte nur einigen wenigen, nach strengen Überprüfungen, die Wiederaufnahme. Figl und Raab seien stellvertretend für jene Bbr Bbr erwähnt, die während der NS-Zeit den Aufbau Österreichs planten und nach 1945 in Angriff nahmen.

Studentinnen: Norica Nova & der Weg zur Vollintegration

Gründung der K.a.V. Norica Nova 1985

Seit Jahren hatte man auf der Norica Bude immer wieder über die Notwendigkeit diskutiert, katholischen Studentinnen die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit zu eröffnen. Im Sommersemester 1984 wurden diese Überlegungen konkret. Eine Handvoll Studentinnen aus dem Umfeld der Norica, die auch schon zuvor häufig die Bude frequentiert hatten, bekundete wachsendes Interesse an einer aktiven Teilnahme am Verbindungsleben, viele Noriker bestärken sie dabei.

Konsequenterweise wurde im folgenden Semester am BC der Beschluss gefasst, eine stärkere Einbindung von Studentinnen anzustreben. Zugleich wurde eine Kommission eingesetzt, die ein „Damenstatut“ ausarbeiten sollte. Das Statut, das Studentinnen immerhin eine Reihe von Rechten zugestanden hätte, wurde zwar mehrheitlich begrüßt, die dafür benötigte Drei-Viertel-Mehrheit wurde am Cumulativconvent (CC) im Juni 1985 jedoch nicht erreicht.

Nach einer „Nachdenkpause“ im Sommer gingen fünf junge Studentinnen in die Offensive und hoben am 8. Oktober 1985 die Norica Nova als eigenständigen Verein aus der Taufe. Die Namen der Gründerinnen: Christine und Michaela Bitschnau, Elisabeth Freytag, Christine Simbrunner und Michaela Steinacker. Am 20. März 1986 fand die offizielle Vorstellung der K.a.V. Norica Nova statt, deren weiß-blau-goldene Weinbänder die enge Verbindung zur „männlichen“ Norica augenscheinlich dokumentierten. Die Veranstaltung wurde ein großer Erfolg, weit über 200 Gäste feierten im Österreichischen Gewerbeverein in der Wiener Eschenbachgasse den jüngsten Spross des katholischen Couleurstudententums.

Gründerin Michaela Steinacker unterfertigt die Urkunde

K.a.V. Norica Nova Gründerinnen

Christine Bitschnau, Michaela Steinacker, Christine Simbrunner, Elisabeth Freytag, Michaela Bitschnau

Am gleichen Abend wurden Rezeptionen und Filiaturen (Aufnahme als Vollmitglied) vorgenommen und die Ehrenpatronessen Dr. Marlies Flemming, Dr. Edith Mock und Dr. Annemarie Bernau vorgestellt.

Rezeptionen

Erste Filiatur Maria Wimmer

Ehrenpatronessen Annemarie Bernau, Marlies Flemming, Edith Mock

Mit massiver Unterstützung der K.a.V. Norica kam es in den folgenden Semestern zu einer engen inhaltlichen und organisatorischen Zusammenarbeit der beiden juristisch getrennten Verbindungen. Die K.a.V. Norica Nova (NcN) hielt ihre eigenen Convente ab und erfreute sich bald einer stetig wachsenden Schar von Fuchsen, die auf gemeinsamen FCs in das Verbindungsleben eingeführt wurden – und werden. Die inhaltliche, programmatische und organisatorische Arbeit inklusive der Gestaltung der Semesterprogramme wurde schon bald nach der Gründung von den ChCs beider Verbindungen gemeinsam geleistet.

Der Weg zur Vollintegration weiblicher Studierender

Auch auf der Ebene des Gesamtverbandes fand die Idee weiblicher ÖCVer immer mehr Anhänger. Nachdem der vom damaligen Vorort A.V. Austria Innsbruck auf der CVV 1991 forcierte „Antrag 17“ (der eine Aufnahme von Frauen in die Cartellordnung expressis verbis vorgesehen hätte) nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit gefunden hatte, trat die unklare juristische Situation im Verband neuerlich deutlich zu Tage. Da man immer am Boden des ÖCV-Rechtes agieren wollte, bat der Senior des WS 1991/92 Andreas Aichinger den ÖCV-Rechtspfleger Univ. Prof. Dr. Wolfgang Mazal, NbW (mittlerweile auch Nc) um ein Rechtsgutachten zur Klärung der Frage, ob die Cartellordnung „einer Aufnahme von Studentinnen durch einzelne Verbindungen entgegensteht bzw. diese ermöglicht.“ Im November 1991 lag das (in der Folge als „Mazal-Gutachten“ bekannt gewordene) Schriftstück schließlich vor. Der entscheidende Passus daraus: „Ich selbst bin daher der Auffassung, dass eine Aufnahme von weiblichen Studierenden in eine ÖCV-Verbindung de lege lata zulässig ist.“ Alle, die schon zuvor diese Auffassung vertreten hatten, fühlten sich bestätigt.

Weihnachtskommers 1991 – erstmals gemeinsam ohne getrennten „Festakt“ der NcN

CC Präsidium: Johannes Kasal x (stehend), Helmut König, Elmar Puck, Otto Klar Phil-x, Norbert Tschulik Phil-xx, Christian Bauer, Bernhard Geosits

 

Am kurz darauffolgenden Weihnachtkommers 1991 in der Wiener Börse wurde der bis dahin übliche „Festakt“ der K.a.V. Norica Nova (bisher immer getrennt noch vor dem Norica-Kommers) erstmals durch einen gemeinsamen Kommers mit Burschungen und Filiaturen ersetzt – ein weiterer Schritt zur gemeinsamen Verbindung. Kurz darauf setzte der BC der K.a.V. Norica (Senior Andreas Aichinger) am 15. Jänner 1992 schließlich den nächsten entscheidenden Schritt. Folgender Antrag wurde mit sehr deutlicher Mehrheit jenseits der 70-Prozent-Marke beschlossen: „Die Aktivitas der K.a.V Norica setzt sich zum Ziel, katholische Studentinnen als vollberechtigte Mitglieder in die Verbindung aufzunehmen.“ Die Norica hatte somit ihre Karten klar auf den Tisch gelegt, spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar, dass die immer weiter prosperierende K.a.V. Norica Nova nur als juristische Übergangslösung auf dem Weg zur Vollintegration verstanden wurde. Auf dem BC vom 15. Jänner 1992 wurde darüber hinaus auch die erstmalige Etablierung eines Gemeinsamen Convents (GC) beschlossen.

Nachdem eine schriftliche Meinungsumfrage innerhalb der Altherrenschaft Noricae ebenfalls ein überaus positives Stimmungsbild erbracht hatte, ging man an die Vorbereitung eines Cumulativconventes (CC), der dann am 16. Jänner 1993 (Senior Johannes Kasal) im Austria Center Vienna über die Bühne ging. Ein einziger Antrag: In die Geschäftsordnung der Norica sollte die Möglichkeit einer Mitgliedschaft von Frauen vorgesehen werden. Der Antrag verfehlte die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit äußerst knapp.

Und dann passierte etwas, das die Burschen und Filiae beider Verbindungen schon bei früheren „Rückschlägen“ ausgezeichnet hatte: Man steckte den Kopf nicht in den Sand, resignierte nicht, sondern leistete in den folgenden Jahren Überzeugungsarbeit und versuchte „Hirne und Herzen“ der Bundesbrüder zu gewinnen. Mit Erfolg: Am 15. Juni 1996 (Senior Werner Dujmovits) wurde erneut ein CC abgehalten, hunderte Noriker fanden sich im Julius-Raab-Saal der Bundeswirtschaftskammer in Wien ein, um Geschichte zu schreiben. Mit einem Votum von jenseits der 70 Prozent wurde diesmal die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für den Passus „Als Mitglieder der K.a.V. Norica können männlich und weibliche Studierende aufgenommen werden“ klar erreicht. Die Idee wurde jetzt zur greifbaren Realität.

Grenzen für die Vollintegration weiblicher Studierender?

Diese deutliche Meinungsäußerung aktivierte allerdings nach kurzer Zeit die Gegner im ÖCV. Auf Antrag des WCV fasste das oberste ÖCV Gericht (OCVG) den Beschluss, die Entscheidung des CC vom 15. Juni 1996 für nichtig zu erklären. Dies, obwohl der CC-Beschluss in der Präambel klar festhielt, dass die rechtlichen Änderungen in der Norica nur in Abstimmung mit dem ÖCV-Recht wirksam werden können und sollen. Die Begründung des OCVG fußte dabei nicht auf einem Verstoß gegen die Cartellordnung beziehungsweise die Satzungen des ÖCV, sondern auf einer Nichteinhaltung eines Beschlusses der CVV 1981 in Feldkirch. Damals – in der Frühphase der Diskussion zum Thema Frauenintegration – war beschlossen worden, Studentinnen nur in eigenen Verbindungen aufzunehmen und diesen seitens des ÖCV ein Freundschaftsabkommen anzubieten.

Damit blieb für Norica und Norica Nova nur der Weg erneut an das Gremium heranzutreten, welches vom OCVG in der Argumentation zitiert wurde und oberste Entscheidungskompetenz besitzt: Die nächste CVV – sie fand von 1. – 4. Mai 1997 in Wien statt. Die Zielsetzung war unverändert und wurde erneut in zahlreichen Diskussionen und in schriftlicher Form präsentiert: Lösung der „causa prima“ im Rahmen der Verbindungsautonomie und auf dem Boden des ÖCV Rechtes. Es gab weiterhin keine bessere juristische Konstruktion als den bereits bei der CVV 1991 von A.V. Austria Innsbruck und K.a.V. Danubia eingebrachten „Antrag 17“: Die CVV möge beschließen, dass „Männern und Frauen die Mitgliedschaft in Verbindungen offensteht“ (CO § 22/2). Der letztliche Aufnahmebeschluss ist gemäß den Geschäftsordnungen in den Verbindungen und somit in deren Autonomie vorzunehmen.

Das inzwischen schon lange gehegte Ziel lag wieder zum Greifen nahe. Wenngleich in der Kurie der aktiven Verbindungen kaum eine Bewegung in der Meinungsbildung gegenüber früher zu erkennen war, zeigt die Kurie der Altherrenschaft mehr Verständnis für eine „diplomatische Lösung“ und für die Mitgliedschaft von Studentinnen im ÖCV. Vor allem die Gespräche mit namhaften Cartell- und Bundesbrüdern nährten die Hoffnung auf einen freien Weg zur Beteiligung von Männern und Frauen am Verbindungsleben entsprechend der zeitgemäßen gesellschaftspolitischen Relevanz. Die in der Sitzung selbst anwesenden Delegierten sahen dies letztlich nicht so. Nicht einmal die überzeugenden und persönlich engagierten Wortmeldungen von Bundes- und Cartellbrüdern mit hoher Anerkennung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich – die Bbr. Dr. Alois Mock und Dr. Hermann Withalm und eine große Anzahl der dem Verband angehörenden Universitätsprofessoren – ließen für den Hauptantrag eine Mehrheit erwarten. Norica zog daher den Antrag auf „Mitgliedschaft von Frauen und Männer im ÖCV“ zurück und brachte nur einen Zusatzantrag zur Abstimmung. Dem zur Folge hätten Damen nur als Probemitglieder (Fuchsen) in der K.a.V. Norica aufgenommen werden können. Sie hätten als Fuchsen keine Rechte bzw. Funktionen im ÖCV. In weiteren Gesprächen sollte über die rechtliche Integration mit den Vertretern des Verbandes verhandelt werden. Die Abstimmung brachte nicht einmal für diesen Antrag eine Mehrheit, wobei besonders die aktiven Verbindungen mit 40 Gegenstimmen entscheidend waren. Das Angebot der Integrationsgegner, dass Cartellbrüder durch Änderung des § 39 CO auch Mitglied einer gemischt geschlechtlichen befreundeten Verbindung (z.B. der K.a.V. Norica Nova) sein dürfen, war indes kein ernsthafter Kompromiss.

Kooperationsabkommen – bewährte Basis neu gefestigt

Um seitens K.a.V. Norica und K.a.V. Norica Nova das mit Vertretern des ÖCV schon bisher rechtlich akkordierte Verhältnis zum Verband zu bestätigen, schlossen die K.a.V Norica und die K.a.V Norica Nova ein Kooperationsabkommen (BC vom 16.10.1997, Altherrentag vom 13.11.1997) über die Art der Zusammenarbeit:

  1. K.a.V Norica und K.a.V. Norica Nova sind zwei rechtlich eigenständige Verbindungen, die nach getrennter Willensbildung vereinsrechtlich einzeln entscheiden.
  2. Im gemeinsamen Verbindungsleben (Programmgestaltung, Nachwuchswerbung, …) fördern sie die Entwicklung der Persönlichkeit ihrer Mitglieder im Sinne einer christlich aufgeschlossenen Weltanschauung auf der Grundlage der 4 Prinzipien des ÖCV.
  3. Die Vollintegration von Studentinnen in die K.a.V. Norica ist weiterhin Ziel.

Das Kooperationsabkommen fand nicht die Zustimmung aller Verbindungen, zudem folgten weitere Aktionen, um den Weg der Norica zu behindern. Es sollte die nunmehr in rund 20 Jahren entwickelte Zusammenarbeit zwischen Norica und Norica Nova nicht gelebt werden können, obwohl andere Verbindungen nicht beeinträchtigt oder behindert werden. Dabei zeigt ein Blick in die gegenwärtige Gesamtsituation des ÖCV, dass das Thema Integration von Studentinnen zunehmend weniger ein Anliegen der Norica beziehungsweise einzelner Verbindungen ist. Aus Meinungserhebungen und Abstimmungsverhalten wird deutlich, dass die Zustimmung zur Integration mitunter bereits von einer relativen Mehrheit getragen wird. 62 Prozent der Altherrenschaft wollen die Verbindungen selbst über die Aufnahme von Studentinnen entscheiden lassen (Academia 3/2000). Die rechtliche Wirksamkeit bedarf allerdings einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 aller Stimmberechtigten. Die „causa prima“ – nunmehr „causa prima maiorum“ – lässt sich nicht mehr ignorieren oder totschweigen.

Die CVV 2000 hat als nächsten Schritt eine Kommission eingesetzt und beauftragt, die Gliederung des Verbandes in mehrere Sektionen zu prüfen. Nach umfassenden Vorarbeiten und Sondierungen in Verbindungen und Ortsverbänden durch Cbr. Dr. Wolfgang Binder NdW und seinem Team kam auf der CVV 2001 das „Säulenmodell“ zur Diskussion und Abstimmung:

Modell A – 3 Säulen: Der ÖCV besteht aus männlichen, weiblichen und gemischten Verbindungen.
In einem Minderheitenvotum war vorgesehen, dass die männlichen Verbindungen mit einfacher Mehrheit einzelne Themen der Beschlussfassung durch weibliche oder gemischte Verbindungen entziehen können.
Die männlichen Verbindungen hätten dann alleine abgestimmt.

Modell B – 2 Säulen: Der ÖCV besteht aus männlichen und weiblichen Verbindungen.
Auch hier wäre ein Minderheitenvotum vorgesehen gewesen.

Aktivitas und Altherrenschaft können nur gemeinsam in einer Sektion sein. Mitglieder sind nicht die Verbindungen, sondern die einzelnen Cartellbrüder. Sind Mitglieder mit der Zugehörigkeit zu einer Sektion nicht einverstanden, können sie ohne Hindernis als Urmitglied zu einer anderen Verbindung wechseln. Der ÖCV hätte – vergleichbar mit dem schweizerischen Studentenverband – eine Holdingfunktion. Die Abstimmung zu Modell A – 3 Säulen brachte zwar keine gültige Beschlussfassung, aber eine relative Mehrheit der Delegierten (52 pro-Stimmen, 51 contra-Stimmen).

Mit diesem Ergebnis hat die ursprünglich hoffnungsvoll auf eine Lösung gerichtete Arbeit der Kommission von Cbr. Dr. Wolfgang Binder letztlich den Status quo im Verband gefestigt. Die Integrationsgegner haben einmal mehr einen Kompromiss verhindert und ihre Position mit den bekannten Methoden gesichert.

Die K.a.V. Norica und die K.a.V. Norica Nova haben daher weitere Energie in die Zukunft ihrer eigenen gemeinsamen Verbindungen investiert. Auf der Basis des Kooperationsabkommens nutzen wir den für uns erreichten Freiraum und zeigen, dass für uns die Zukunft erfolgreich weitergeht. Die Prinzipien des ÖCV „scientia, patria, religio und amicitia“ standen nie infrage und werden auch weiterhin oberste Handlungsmaxime sein. Auf dieser gefestigten und gleichzeitig lebendigen Basis sehen wir die Zukunft unserer K.a.V. Norica im ÖCV.

Zukunft in kleinen Schritten

Um das Kooperationsabkommen weiter mit Leben zu erfüllen, fanden in den nächsten Jahren einzelne vereinsrechtliche Anpassungen statt, mit denen bei einer künftigen Vollintegration der ÖCV-Struktur besser entsprochen werden kann. Statuten und Geschäftsordnung der K.a.V Norica Nova wurden an die Struktur der Statuten und GO der K.a.V Norica angepasst – die vereinsrechtliche Eigenständigkeit kommt damit noch besser zum Ausdruck. Am außerordentlichen Philistraetag vom 6. Mai 2010 konstituierte sich der Philistraeverband als Entscheidungsgremium der Philistrae vereinsrechtlich. Erstmals wurde ein Philistraevorstand nach der neuen gesetzlichen Grundlage gewählt. Die gemeinsamen Veranstaltungen fanden 2010 mit dem 25 Jahre Jubiläum im Museumsquartier einen effektvollen Höhepunkt.

Im Jahr 2012 wurde vonseiten der Aktivitas der K.a.V. Norica Nova die Form der Zusammenarbeit im couleurstudentischen Umfeld einer intensiven Diskussion unterzogen. Das Ergebnis im Sinne einer geordneten Form der Kooperation mit anderen Verbindungen war der Beitritt der K.a.V. Norica Nova in die Freie Kurie des europäischen Kartellverbandes (EKV). Das übergeordnete Ziel der Vollintegration von Studentinnen in die Norica bleibt davon unberührt.

Die K.a.V. Norica Nova hat am Cumulativconvent vom 29. Juni 2012 (Seniora Stefanie Plefka) beschlossen, den Antrag um Aufnahme in die freie Kurie des EKV zu stellen. Die Kartellversammlung des EKV hat daraufhin die Aufnahme der K.a.V. Norica Nova am 1. Dezember 2012 in Leoben beschlossen. Die feierliche Unterzeichnung der Urkunde fand beim Stiftungsfest Noricae am 24. Mai 2013 statt.

Hintergrund der Entscheidung zum EKV-Beitritt waren nicht nur die entsprechenden Einladungen aus dem Verband gewesen, sondern vor allem die Erwartung, dass mit der Mitgliedschaft im EKV die zahlreichen, wiederholten und oft nicht nachvollziehbaren Angriffe wegen des rechtlichen Status der K.a.V Norica Nova ein Ende finden würden. Mit den neuen rechtlichen Voraussetzungen sind einerseits gute Grundlagen für eine statutenmäßig konfliktfreie Zusammenarbeit im ÖCV geschaffen. Vor allem aber werden damit Kapazitäten frei, um inhaltlich konzeptiv an gesellschaftlich relevanten Themen zu arbeiten und zu zeigen, dass die Zukunft nach einer gemeinsamen Gestaltung durch Männer und Frauen verlangt.

Die Jahre nach dem EKV-Beitritt sind auf Verbandsebene dem praktischen Zusammenwirken im studentischen und verbindungsinternen Umgang mit Cartellbrüdern gewidmet. Die Statuten sollen mit prinzipientreuem Inhalt, Leben und Farben erfüllt werden, damit unsere Bundesschwestern voll integriert – vorerst nur erlebt und erfahren, bald auch cartellordnungsgemäß gleichwertig anerkannt – werden können.

Als vorläufig letzter Integrationsschritt wurde Bundesschwestern – nach der Öffnung des Trauerkommerses im Jahr 2007 – auch die Teilnahme am Gründungsabend der Norica (CC-Beschluss vom November 2019) ermöglicht. Diese Öffnung stellt einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft dar.

Autoren: Andreas Aichinger, Hannes Taibl
Quellenhinweis zu den Bildern: Archiv Norica, privat